Als ich vor langer Zeit die Karten für diesen Abend kaufte, stand mit Roger Cicero ein anderer großer Name als international bekannter Künstler neben dem Bujazzo auf dem Programm. Dann traf uns vor knapp vier Wochen die schockierende und bittere Nachricht vom plötzlichen Tod Roger Ciceros. auf das ich mich wirklich sehr gefreut hatte.
Mit der ersten Beileidsbezeugungen des Organisators kamen auch zeitnah Informationen, dass man natürlich seine Karten zurückgeben kann, aber auch, dass man schon mit Hochdruck an einer „Alternative“ für diesen Termin arbeite und mit dem Thomas Quasthoff Quartett schließlich gefunden hätte.
Neben Dietrich Fischer-Dieskau, Hermann Prey war mir Thomas Quasthoff seit den 80ziger Jahren nur als einer der besten klassichen Bass-Baritone der Welt bekannt. Unvergessen sind für mich seine Aufnahmen von Schuberts Winterreis oder Schwanengesang. Wie ich im Vorfeld des Konzertes erfuhr, hat sich Thomas Quasthoff seit einiger Zeit aus der Klassik verabschiedet und sich dem Jazz zugewandt. Ich war nun mehr als gespannt, was Quasthoff als gnadenloser Perfektionist, als der er ja auch bekannt ist, mit seiner grandiosen Stimme im Jazz auf die Bühne bringen wird. So freute ich mich trotz aller Trauer aber dennoch auf diesen Abend.
Es ist gewiss nicht gänzlich falsch, wenn ich das Eröffnungskonzert des 7.Bonner Jazzfestivals als Tribute to Roger Cicero bezeichne, der sicherlich in allen Köpfen an diesem Abend mehr als präsent war.
Wie wir im Verlauf des Konzertes erfuhren, hatte sich Thomas Quasthoff mit seinem Quartett sofort bereit erklärt, den emotional sehr schwierigen Part, an Stelle seines sehr geschätzten Kollegen Roger Cicero aufzutreten, zu übernehmen. Vermutlich hätte er als Künstler es auch so gewollt, dass man ganz im Sinne von „The Show must go on“ professionell mit dieser Situation umgeht.
Das Konzert wurde von den jungen Musikern des Bundes-Jugend-Jazz-Orchesters und dem Vocalensemble unter der Leitung von Niels Klein im total ausverkauften Telekom Forum mit einem Programm, das er als „Zukunftsmusik“ bezeichnete, eröffnet. Diese sehr modernen Kompositionen junger Jazz-Komponisten sind im ersten Moment eher etwas befremdlich und alles andere als gewöhnlicher Jazz von der Stange und fordern damit auch das Publikum. Aus meiner Sicht spielten die 23 Musiker des Bujazzo dieses schwierige Programm wie immer fehlerfrei und technisch perfekt. Musikalisch war mir die Präsentation zu steril. Die solistischen Einlagen wirkten für mich etwas statisch, da hatte ich das Bujazzo aus dem letzten Konzert in der Bundeskunsthalle anders im Ohr. Dieser künstlerisch sicherlich anspruchsvolle Einstieg kam bei mir etwas emotionslos rüber, vielleicht muss man diese Kompositionen auch mehrmals hören.
Akustisch hatte ich das Empfinden, dass die Soundanlage für die Bigband etwas suboptimal eingestellt war. Anfangs war auch Bild – Ton mit der riesigen Videowand im Hintergrund, auf dem die Künstler nochmal vergrößert gezeigt wurden, nicht synchron. Dies sorgte für mich zusätzlich noch für etwas „Unruhe“. Grundsätzlich war das Bujazzo nicht schlecht, jedoch hat es mir in diesem Konzert nicht so gut gefallen. Eindrucksvoll war dieser Programmteil schon, jedoch es war akustisch eher so, als hätte ich mir eine nicht synchrone Bluray auf einer Anlage angehört, wo sich die Musik nicht wirklich von den Lautsprechern löst und die Bühne sich zweidimensional aufbaut.
So ging ich mit etwas gemischten Gefühlen in die Pause. Die überschwänglich begeisternden Worte anderer Teilnehmer konnte ich nicht ganz so nachvollziehen, nun es muss ja nicht jedem alles gefallen.
Der zweite Teil des Konzertes allerdings, war gleich vorweg, ein Mega-Hammer! – wirklich mit das Beste, was sich seit langem gehört habe.
Neben Thomas Quastoff, standen mit Dieter Ilg am Bass, Frank Castenier am Piano und Wolfgang Haffner am Schlagzeug echte „Granaten“ des Jazz mit auf der Bühne.
Akustisch war der zweite Programmteil mit dem ersten für mich nicht vergleichbar. Die Audio-Anlage, die mir beim Buajzzo- nicht gefallen hatte, war auf diese Truppe perfekt eingestellt. Die Bühne wurde einfach erweitert und der Raum spannte sich bis in die letzte Reihe auf.
Unglaublich, aber klanglich perfekt, Bild und Ton alles super, wie ausgewechselt.
Dies war aber noch nichts, im Vergleich dazu, was das Thomas Quasthoff Quartett nun auf die Bühne zauberte. Hier den richtigen Superlativ zu finden, fällt schwer, es war einfach „geil“!
Meine Erwartungen wurden mehr als übertroffen. Ich hoffe, Roger Cicero hat diesen Auftritt, aus „einer oberen Ecke“ des Konzertsaals miterlebt. Wenn nicht, es hätte ihm sicher gefallen, mit zu erleben, wie emotionell und musikalisch Thomas Quasthoff hier Titel wie Cockers „You are so beautiful“ oder Sands „Mr. Pianoman“ interpretierte. Nach einer sehr emotionalen Ansprache widmete er in tiefer Demut als Tribute Roger Cicero den Billie Holiday Song „In my solitude“. Das trieb mir glatt die Tränen in die Augen.
Seine ganze musikalische Größe und seine stimmlich außergewöhnlichen Fähigkeiten demonstrierte Thomas Quasthoff in einer vocal-akorbatischen Höchstleistung, die meiner Meinung nach ihres gleichen sucht. In einer eindrucksvollen Art und Weise zeigt er, wie man eine Collage mit Beatbox Elementen, afro-indianischen Rhythmen, Elementen mit klassischem Ansatz und komischen Sprach-Einlagen wie „alles intellektuell“ oder „heut ist der Tag des Bieres“, zu einem Potpourri an Lautmalerei mit der menschlichen Stimme als Instrument verbinden kann. Wer selbst sich mit Gesang beschäftigt, kann diese Leistung noch weitaus besser beurteilen als der nicht vorbelastete Zuhörer. Das Publikum bekundete diesen Beitrag ganz einfach mit dem größten Lob das es für einen Künster gibt, tosender Applaus und Standigovations.
Thomas Quasthoff, ließ es sich aber bei allem nicht nehmen, auch ein paar nachdenkliche Worte zu unserer aktuellen Situation in Deutschland zu verlieren und zitierte sich dabei selbst. „ … in Deutschland gibt es 80zig Millionen Behinderte, nur er habe den Vorteil, dass man es ihm direkt ansehe“.
Mit einer sehr ergreifenden Version von John Lennons „ Imaginge“, bei der der Bass-Bariton nochmal den ganzen Stimmumfang seines Instrumentes zeigte, beendet Thomas Quastoff als Zugabe ein tolles Konzert und Einstieg ins Bonner Jazzfest 2016.
Das Fotografieren war leider untersagt. Deshalb gibt es hier weitere Infos, Berichte und Bilder
http://www.jazzfest-bonn.de/galerie/bilder-jazzfest-bonn-2016/
http://jazzandrock.com/?p=1916
http://www.jazzzeitung.de/cms/stichwort/bonn/
http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/kultur-und-medien/bonn/Emotionaler-Auftakt-article3239165.html
Thomas Quasthoff mit seinem Quartett hat in mir einen neuen Fan gefunden. Wenn mir etwas gut gefallen hat gehe ich ja immer gerne mit neuen und wenn möglich signierten CDs im Gepäck nach Hause. Die verfügbaren CDs aus dem Hause "Deutsche Gramophon", welche ich mir mit genommen habe, sind mir jedoch zu konservativ aufgenommen. Ganz im Stil einer sauberen Aufnahme, wirk diese zwar perfekt aber auch sehr clean. Mir fehlt da etwas der Glanz, der im Live-Auftritt so gigantisch war.
und noch etwas für die Klassikfans: